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ANA&BELA

Von 1969 bis 1971 erschien in Köln als Underground-Magazin "ANA&BELA" mit dem Untertitel "Kölnisches Volksblatt". Es war die erste Alternativzeitung der Stadt und zugleich Medium der Außerparlamentarischen Opposition (APO), die sich aus der Universität heraus in die Stadt begab, vor allem mit den ersten Aktivitäten des SSK.

2019 hat das KölnArchiv einen Reprint des Blattes im Verlag der Buchhandlung Franz & Walther König (ISBN 978-3-96098-693-5) publiziert und in einem ausführlichen Booklet Geschichte, Beteiligte, Themen und Wirkung von ANA&BELA beschrieben.

ANA&BELA, Cover
ANA&BELA, Cover

Kölner VolksBlatt

Am 1. Oktober 1974 erschien die erste Ausgabe des »Kölner VolksBlatts« mit 8 Seiten im Format A3 im Offsetdruck schwarz-weiß und ab der zweiten Ausgabe mit blauer Titelleiste. Das war die einzige Farbe im Blatt, das nun jeden Monat erschien, manchmal mit 12 oder 16 Seiten oder als Sonderblätter; von 1979 bis 1981 sogar alle 14 Tage. Der Untertitel »Bürgerinitiativen informieren« gab Intention und Produktionsweise an. Es war ein Blatt »von unten« mit Informationen aus der Stadt, die in der damaligen Presselandschaft nicht zu finden waren.

Volksblatt Titelseite 1974

Titelblatt 1974

Volksblatt Titelseite 1979

Titelblatt 1979

Das VolksBlatt versuchte eine unmittelbare Berichterstattung aus den zahlreichen Projekten, Basisgruppen und Bürgerinitiativen mit ihren jeweiligen Handlungsfeldern und entscheidend aus ihrer Sichtweise. Das konnten alle möglichen Themen sein: Stadtteile, Wohnen, Verkehr, Kinderspielplätze, Erziehungsheime, Betriebskämpfe, Flüchtlinge, Schulpolitit etc. Damit war das VolksBlatt einerseits Zentralorgan der zahlreichen Bürgerinitiativen Kölns mit allen Themen der neuen sozialen Bewegungen, andererseits war es Informationsblatt für unterbliebene Nachrichten aus Heimen, Psychiatrie und geschlossenen Anstalten oder zu Großindustrie und Welthandel, Rüstungsfirmen und Solidaritätsgruppen, Flüchtlingen und Immigranten. Hier einige Themenplakate, die es zu den jeweiligen Titelgeschichten für den Verkauf in Kiosken und Läden gab.

Kölner Volksblatt, Titel von 10 Ausgaben

Kölner WandZeitung

Von 1982 bis 1985 erschien die Kölner WandZeitung, herausgegeben von der "Sozialistischen Selbsthilfe Köln" (SSK) und redaktionell betreut im "DruckBetrieb Köln-Niehl". In einer Auflage von 500 Stück wurde das großformatige Blatt an Hauswände, Bauzäune oder Bahnunterführungen geklebt, mit Informationen zu Kölner politischen Skandalen und gleichzeitig vielfältigen Handlungsaufforderungen. Alle 32 geklebten Ausgaben sind im KölnArchiv erhalten.
#01, #02, #03, #04, #05, #06, #07, #08, #09, #10, #11, #12, #13, #14, #15, #16, #17, #18, #19, #20, #21, #22, #23, #24, #25, #26, #27, #28, #29, #30, #31

Wandzeitung #23 auf einer Mauer

SSK/SSM

1969 entstand aus einer Initiative von Studenten und Sozialarbeitern die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) und zehn Jahre später in Köln-Mülheim der Ableger SSM. Anfangs ging es darum, obdachlose Jugendliche zu beherbergen und sie als proletarische Randgruppe zu sozialisieren. Aber bald entstand eine Kampagne gegen Heimerziehung und Knast. Ein Schwerpunkt der Aktionen richtete sich gegen die Zwangsverhältnisse in der Psychiatrie, und vor allem gegen den Träger dieser Einrichtungen, den Landschaftsverband Rheinland (LVR). Immer ging es dabei um sozialpolitische Forderungen, um Armut und um den Kampf gegen Ausbeutung, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit, auch um Stadtplanung und Spekulation.

Die Menschen, die bei der Sozialistischen Selbsthilfe landeten, mussten versorgt und untergebracht werden. Da sie staatliche Transferleistungen ablehnten, um nicht in Abhängigkeit zu geraten, begannen sie in eigenen »Firmen« mit Umzügen, entrümpelten Häuser, lösten Wohnungen auf und handelten second hand mit Gebrauchtwaren und Möbeln. Das ist Basis ihrer autonomen Ökonomie.

Eine ihrer zentralen Forderungen wurde die nach bezahlbarem Wohnraum, und um dem nachzuhelfen, begannen sie, erst für sich, dann für andere, Häuser zu besetzen. In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu Dutzenden Besetzungen in Köln, ganze Straßenzüge wie in Ehrenfeld, aber auch mit neuen Gruppen in Düsseldorf und Dortmund, Wuppertal, Porz oder Waldbröl. Plakat Zahlreiche Objekte konnten so vor dem Abriss gerettet und manche für die Besetzer auch legalisiert werden.

Die Aktionen von SSK/SSM wurden immer öffentlich erklärt, es wurde um Unterstützung gebeten und im Clinch mit Behörden, Polizei, Hausbesitzern oder Gerichten wurde über die Forderungen und Strategien informiert. Plakate wurden zum zentralen Medium, so kommen SSK/SSM sicherlich auf einen »Gesamtausstoß« von mehr als 300 verschiedenen Plakaten.

1974 gründeten Sympathisanten einen Unterstützerverein »Helft dem SSK e. V.«, zu dem unter anderen Annemarie und Heinrich Böll aufriefen. Plakat Das Ehepaar Böll finanzierte später auch den Kauf eines Hauses in der Overbeckstraße hinter einer vom SSK Ehrenfeld besetzten Tankstelle, fürderhin das »Böll-Haus«.

Ein wesentliches Element der politischen Strategie von SSK und SSM besteht in der Herstellung von Öffentlichkeit. Wenn sie ein neues Objekt in Angriff nehmen, ein Haus besetzen und mit der Renovierung beginnen, gibt es eine öffentlich plakatierte »Einladung« an Passanten und neugierige Nachbarn. Dabei erhalten die Besetzer oft Informationen, die ihnen vorher unbekannt waren.

Diese Strategie ist erfolgreich gegen die Methoden von Polizei, Immobilienunternehmen oder Stadtverwaltung, die Hausbesetzung in der Regel als illegal betrachten und als Sachbeschädigung, Haus- und Landfriedensbruch, Einbruch oder was das StGB sonst noch hergibt verfolgen. So kommen sie auch der Deutungshoheit von Politik und Justiz zuvor.

Plakate

Eine Parole der Hausbesetzer der 1970er/80er Jahre lautete: »Was den Bomben nicht gelungen, machen Banken und Versicherungen.« Tatsächlich waren im Belgischen Viertel und der Kölner Neustadt größere Teile vor den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschont geblieben oder wieder hergerichtet worden: vor allem große Bürgerhäuser der Gründerzeit mit hohen Etagen und repräsentativen Grundrissen, meist noch ohne Zentral-, aber mit Ofenheizungen, die wegen der günstigen Mieten oft von Altmietern bewohnt waren und auch gern von studentischen Wohngemeinschaften genutzt wurden.

Hier kam es schon seit den späten 1960er Jahren, auch unter dem ästhetischen Verdikt von Architekten und Stadtplanern, die damals die Gründerzeitarchitektur noch als unecht und plagiativ abtaten, zu spekulativen Abrissen und modernen Neubauten mit einer wesentlich höheren Ausnutzung der Geschoßflächen.

Vor allem Versicherungen waren aktiv, und man kann sich diese Teile der Stadt Köln wie die Goldfundgebiete in Alaska vorstellen: Die Claims waren abgesteckt. Innerhalb der Ringe, vor allem im Friesenviertel, war der Gerling-Konzern tätig, in der nördlichen Neustadt war es die Allianz und südlich davon im Werderstraßenviertel die Gothaer Versicherung.

Zum Teil trug auch die Stadtsparkasse Köln zur Finanzierung dieser spekulativen Baugeschäfte bei. Die Plakate haben nicht nur die Hintergründe von Hausabriss und Spekulation beleuchtet, sondern auch die Verantwortlichen genannt, manche wurden auch in ihren Büros und Banken von den SSK/SSM-Mitgliedern »besucht«.

Plakate

Psychiatrie

Aus dem Gründungsaufruf der SSK-»Initiative gegen Verbrechen in Landeskrankenhäusern« vom September 1979: »Allein im Rheinland werden jährlich ca. 40.000 Menschen eingefangen und in sogenannte Landeskrankenhäuser eingesperrt. Ein kleiner Teil von ihnen ist geisteskrank. Diese Menschen werden aber nicht geheilt, sondern für ihr Kranksein bestraft, gequält und wie Tiere behandelt. Der größte Teil aber besteht aus geistig gesunden Menschen. Ihre ›Schuld‹ ist, daß sie zum armen Volk gehören und sich gegen Not und Verzweiflung, gegen schlechte soziale Verhältnisse und brutale Umweltbedingungen aufgelehnt haben. … Oder sie sind alte Menschen, die ihrer Umwelt lästig geworden sind, und durch hinterlistig betriebene Zwangseinweisung in ein LKH abgeschoben werden. «

In der Folge entstanden Beschwerdezentren in Köln, Bonn, Düsseldorf, Aachen, Bielefeld, Münster, Dortmund und Bochum. Es kam zu zahlreichen Anzeigen und Verfahren, oft wegen "Falschbehauptung" oder "Beleidigung", aber es gab keine einzige Verurteilung. Im Gegenteil: Das Landeskrankenhaus Brauweiler wurde geschlossen und sein Chef verurteilt; ein Teil des Landeskrankenhauses Düren wurde dichtgemacht. Die ebenso korrekten wie massiven Attacken haben die Psychiatrie verändert.

Plakate

Plakate

Köln war und ist ein Hospot sozialer Bewegungen, für die Plakate immer ein Medium im öffentlichen Raum sind, für Informationen, Aktivitäten und Botschaften. Vor allem die Sozialistische Selbsthilfe Köln und Mülheim (SSK/SSM) mit ihren vielen Aktionen rund um Häuserkampf und Hausbesetzung, Psychiatrie und Heime, Stadtentwicklung und Sanierung hat sich mit Plakaten immer wieder an die Öffentlichkeit gewandt.

Mit diesem Medium ging es häufig um unterdrückte Informationen, die Aufdeckung von Skandalen, die beteiligten Firmen und Personen, aber auch um Alternativen für die Stadtgesellschaft. Gruppen der Frauen- oder Friedensbewegung, antiklerikale und Bürgerinitativen sind unter den hunderten Plakaten in der Sammlung des KölnArchiv vertreten.

Viele der Plakate sind von dem Grafiker Jochen Stankowski gestaltet und wurden im "DruckBetrieb am Niehl" hergestellt. 2021 organisierte das KölnArchiv eine Ausstellung politischer Plakate. Dazu erschien als Katalog eine Publikation im Verlag der Buchhandlung Franz & Walter König "AnSchläge. Plakate aus 5 Jahrzehnten". (ISBN 978-3-96098-871-7)
Hier typische Beispiele aus "Anschläge. 5 Jahrzehnte politische Plakate".

Paragraf 218

»Wir haben abgetrieben!« war die Titelschlagzeile des "Stern" am 6. Juni 1971. Es handelte sich um eine Aktion, bei der 374 prominente und nicht prominente Frauen öffentlich bekannten, ihre Schwangerschaft abgebrochen und damit gegen geltendes Recht verstoßen zu haben.

Diese Aktion wurde von der Feministin und späteren Gründerin der Zeitschrift Emma, Alice Schwarzer, initiiert, um gegen den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs der alten Bundesrepublik anzukämpfen, der hier – im Gegensatz zur DDR – den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte. Plakat Die Aktion gilt als Meilenstein der neuen Frauenbewegung in Deutschland.

Die Aktivistinnen setzten sich für die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper ein und kritisierten die geltende Regelung, weil sie soziale Ungerechtigkeit kaschierte. Wer Geld hatte, konnte das Verbot umgehen und eine Abtreibung in Holland oder England durchführen lassen. Frauen ohne die nötigen Ressourcen gefährdeten häufig bei illegalen Abtreibungen ihre Gesundheit, wenn nicht gar ihr Leben. Das Plakat aus dem Jahr 1972 mit dem Geldsymbol und der Währung 218 thematisiert diesen Zusammenhang.

Isolationshaft. Ein Plakat vor Gericht

Das Plakat aus dem Jahr 1974 brachte den presserechtlich Verantwortlichen, aber auch den Druckern erst eine Hausdurchsuchung und dann wegen »Verächtlichmachung der Bundesrepublik« und »Verunglimpfung ihrer Symbole« eine Anzeige nach Paragraf 90a des Strafgesetzbuches ein.

Hintergrund war ein »Komitee zur Aufklärung über Gefängnisse / Initiative gegen Folter« in Köln, das sich mit den Haftbedingungen der »politischen Gefangenen« beschäftigte. Das waren im damaligen Sprachgebrauch die inhaftierten Mitglieder der RAF, der »Rote Armee Fraktion«. Die Sprecher des Komitees teilten deren gewalttätige Praxis überhaupt nicht, kritisierten aber auch, wie die Justiz mit den Inhaftierten umging, sie in der Haft isolierte, von allen sozialen Kontakten und auch Plakat sensorischen Eindrücken abschnitt oder die Besuche ihrer Anwälte erschwerte.

Über zwei Runden und mehrere Monate ging das Verfahren vor dem Amtsgericht, die Drucker wurden freigesprochen, weil nicht nachweisbar war, wer gedruckt hatte, die anderen wurden zu überschaubaren Geldstrafen verurteilt. Der Richter monierte – nicht ganz zu Unrecht – besonders die Nutzung des bestimmten Artikels "In den Gefängnissen der BRD wird gefoltert", mit dem behauptet sei, dass die Isolationspraxis in allen Gefängnissen angewandt werde und nicht nur in einzelnen wie etwa in Köln-Ossendorf.

Wer saniert wen? Der Stollweck-Coup

Die Süßwarenfabrik Stollwerck in der südlichen Altstadt Kölns war Anfang der 1970er Jahre marode, weshalb das alte Unternehmen nach einem neuen Standort mit modernen und verkleinerten Produktionsbedingungen am Stadtrand suchte. Der Firmeninhaber Hans Imhoff, in der Presse gern als »Schoko-Napoleon« tituliert, nutzte die Gelegenheit, sich dafür Steuervorteile und Subventionen zu sichern, im Gegenzug versprach er den Erhalt von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig spekulierte er mit dem Immobilienhändler Renatus Rüger um den Verkauf des wertvollen Innenstadt­grundstücks, trieb den Preis auf das fast Zehnfache des Schätzwerts hochPlakat und zog dabei die Stadt und die öffentliche Hand über den Tisch – jedoch unter wissender Mithilfe führender Kölner Ratspolitiker und Verwaltungs­beamter. Am Ende kostete das »Geschäft« den Steuerzahler rund 50 Millionen Mark. Der ganze Coup und die Beteiligten wurden auf einem Theaterplakat als »Trauerspiel in 12 Akten« dargestellt.

»Stollwerck« wurde später zum Synonym für einen stadtpolitischen Konflikt um Abriss oder Umnutzung der alten Fabrik zum Wohnen und Arbeiten. Das Unternehmen war nach Porz umgesiedelt, und als die alte Fabrik Anfang der 1980er Jahre abgerissen werden sollte, kam es zu einer der größten Besetzungsaktionen, bei der sich fast 500 vor allem junge Leute für Wochen im Stollwerck einrichteten. Die Aktion wurde in Köln fast zu einem Mythos, aber die Besetzer haben es nicht geschafft: Stollwerck wurde abgerissen.

Berufsverbot

Plakat

Einer der politischen Dauerkonflikte der 70/80er Jahre waren die "Berufsverbote". 1972 hatte die Regierung Willy Brandt im sogenannten Radikalenerlaß beschlossen, Menschen den Zugang zum Staatsdienst zu verwehren, die Mitglieder einer Organisation waren, die zwar legal, aber als "verfassungsfeindlich" eingeschätzt wurde. Die Folge waren massenhafte Überprüfungen und Beobachtungen durch die Nachrichtendienste, vor allem den Verfassungsschutz. In der Praxis betraf das vor allem Lehrer und Lehrerinnen. Einer der ersten Fälle in Köln wurde mit diesem Plakat "Maul halten" aufgegriffen.